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4 Lehren aus Afghanistan Einsatz

Quelle: "Die Welt" Gastbeitrag von Henning Otte

Dass die Taliban die Macht in Afghanistan nach dem Abzug der westlichen Truppen übernehmen, war abzusehen, wenn auch nicht in dieser erschreckenden Geschwindigkeit. Politisch war die Entscheidung trotzdem richtig.

Die Nachrichten, die uns aus Afghanistan erreichen, sind erschütternd, obwohl jedem Experten bewusst war, dass die Taliban die Macht zurückzugewinnen versuchen würden.

Erschreckend ist die moralische und taktische Verfassung der afghanischen Armee. Nach 20 Jahren Unterstützung durch Streitkräfte aus der ganzen Welt, nach intensivem Training und Aufbau und nach erheblichen Investitionen in die Ausrüstung des afghanischen Militärs wäre mehr zu erwarten gewesen.

Die erste bittere Lehre ist also: Wenn Afghanistan nicht selbst die Kraft entwickelt, sich gegen die Unterdrückung durch die Taliban zu wehren, können auch alle unsere gemeinsamen Anstrengungen keinen Erfolg haben. Die uralte Einsicht, dass Guerilla-Kämpfer und Partisanen immer Unterstützung in der Bevölkerung brauchen und erst dann besiegbar sind, wenn sich die Menschen aktiv gegen sie wenden, gilt auch in Afghanistan.

War also alles umsonst? 59 tote Bundeswehrsoldaten, davon 35 gefallen – für nichts? Nein. Deutschland stand nach den Anschlägen des 11. September 2001 an der Seite unseres Nato-Verbündeten USA. Seitdem war Afghanistan kein Rückzugsort für Al-Quaida, den Islamischen Staat oder andere Terrorgruppen. Von Afghanistan ging über 20 Jahre keine terroristische Gefahr für uns aus.

Zweitens können wir für die Zukunft lernen, dass Sätze wie „gemeinsam rein – gemeinsam raus“ keine hohlen Forderungen sind. Der Kardinalfehler, dass die Vereinigten Staaten den Rückzug einseitig und mit Datum angekündigt haben, wäre einer nüchtern abwägenden und weniger tagespolitisch motivierten Staatengemeinschaft in der Nato nicht passiert.

Wir hätten die Geduld aufbringen müssen, Friedensbedingungen mit den Taliban erst auszuhandeln und dann den Abzug durchzuführen. Jetzt ist unsere Verhandlungsposition denkbar schlecht.

Die dritte Lehre ist, dass militärisches Rational keine politischen Entscheidungen ersetzen kann. Militärisch waren die Bedingungen zum Abzug nicht gegeben. Der Friede war brüchig und trügerisch.

Politisch aber war die Entscheidung zum Abzug richtig. Die Frage, ob eine Fortsetzung unserer militärischen Präsenz weiter förderlich für Afghanistans gewesen wäre, konnte keiner glaubhaft positiv beantworten. Ohne Aussicht auf weiteren Erfolg waren aber weder die Leben von Soldaten noch der immense materielle Einsatz zu rechtfertigen.

Die vierte Lehre betrifft uns Europäer. Fakt ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika einen so großen militärischen Fähigkeitsvorsprung haben, dass ohne sie nichts geht. Europa könnte einen Einsatz wie in Afghanistan weder logistisch stemmen noch hätten wir die Aufklärungs- und Kommunikationsmittel, um eine solide militärische Führung für einen solchen Einsatz sicherstellen zu können. Und am scharfen Ende fehlt uns insbesondere der Wille, militärische Gewalt einzusetzen.

Wenn wir also unsere Werte, unsere Interessen und unsere Überzeugungen durchsetzen wollen, müssen wir als tatsächlicher Akteur ernst genommen werden – und das geht eben nur, wenn hinter den Worten auch die Möglichkeit zum Handeln steht.

Deutschland will sich als Stabilitätsanker in der globalen Welt sehen – ein hehres, aber hohes Ziel. Dazu müssen wir mehr als bisher bereit sein, alle Instrumente unserer Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik anzuwenden – auch militärische, wenn erforderlich.

Glaubwürdige Sicherheitsvorsorge zu leisten heißt, den Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen und unsere Streitkräfte so auszurüsten, dass sie verlässlich unseren politischen Willen erfüllen können – für uns und unsere Partner.

Unsere Sicherheitspolitik muss nachhaltig werden: Die Nato muss jetzt dringend eine selbstkritische Analyse vornehmen. Und die Europäische Union ist endlich aufgefordert, Verteidigungspolitik ernsthaft auf die Agenda zu setzen.

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